Nun ist es soweit: Der Schulabschluss steckt in der Tasche und alle erwarten von dir einen Plan für deine Zukunft, aber den hast du noch nicht.
Weiter zur Schule gehen und einen höheren Abschluss machen?
Ich habe mich nach dem Abi fürs "treiben lassen" entschieden. Studieren konnte und wollte ich trotz Abitur nicht.
Gar nichts machen ist für die allermeisten keine Option. Das führt dann unter anderem dazu, dass man eine Ausbildung beginnt, die einem gar nicht so richtig liegt. Fast die Hälfte aller Studierenden wechselt irgendwann das Fach oder bricht ganz ab. Als BAföG Beraterin sehe ich täglich Lebensläufe. Abbrüche sind keine Seltenheit. Gerade Lebensläufe, wie man sie sich so vorstellt, sind eher selten bei Empfängern von einer Ausbildungsförderung. Also kein Grund sich schlecht zu fühlen, wenn man selbst nicht so die Bilderbuch-Karriere hinlegt. Es ist völlig in Ordnung, sich immer wieder neu auszurichten und den einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen.
Wenn du also gerade frisch von der Schule kommst, setz dich selbst nicht zu sehr unter Druck. Niemand kann mit 16 wissen, womit er oder sie die Brötchen in den nächsten 50 Jahren verdienen wird. Gut möglich, dass es den heute gewählten Beruf in 50 Jahren gar nicht mehr gibt. Als ich mit der Schule fertig war, war Bankkaufmann noch ein sicherer, gut bezahlter Job. Dann kam das Online-Banking und Bankfillialen existieren eigentlich nur noch für die ältere, wenig technisch affine Generation oder wann warst du zuletzt am Bankschalter, um Geld abzuheben oder einen Überweisungsschein abzugeben? Mit viel Glück schafft man es gerade noch in den Vorraum zu den Geldautomaten. Wenn du nicht gerade Investmentbanker bist, ist dein Job bei der Bank so gut wie gestrichen. Als ich die Schule verlies, war das Internet zwar schon geboren, aber Google und Social Media Plattformen noch nicht. Das Internet war Neuland, mit dem kaum einer etwas anzufangen wusste. Wir ließen die Internetfunktion unserer Handys absichtlich deaktivieren, weil sie keinen Nutzen hatte, aber unbeabsichtigt hohe Kosten verursachen konnte. In 2020 sind Social Media Manager schon so etabliert, dass dieser Beruf kaum noch der Rede wert ist. Wer möchte, der kann Influencer auf Youtube, Instagram und TikTok werden. Das alles gab es vor 20 Jahren noch gar nicht und dein künftiger Beruf ist vielleicht auch noch gar nicht erfunden. Mit ziemlicher Sicherheit wirst du deine Brötchen langfristig mit etwas verdienen, womit du heute noch gar nicht rechnest bzw. rechnen kannst. Also mach dich nicht völlig fertig mit deiner Berufswahl.
Lerne etwas, von dem du weißt, dass es deinen Fähigkeit im Moment liegt. Oder fange einfach damit an, Berufe und Tätigkeiten für dich auszuschließen.
Mir war klar, dass ich niemals in medizinischen Berufen arbeiten werde. Ich kann kein Blut sehen und ekel mich vor zu vielen Dingen, die man in Pflegeberufen abkönnen muss. Insgesamt bin ich für sowas auch einfach zu emotional. Ich würde mit jedem Patienten unverhältnismäßig mitleiden. Auch Handwerk kam für mich nicht in Frage. Das ist mir zu viel gefriemel und ich hab weder Talent noch Geduld dafür. Bürojob klang öde. Aber ich kann gut mit Menschen, vor allem auf professioneller Ebene. Das wurde mir aber erst durch meinen Job nach dem Abi so richtig klar. Ich arbeitete im Einzelhandel, genau genommen im Kundendienst. Da muss man regelmäßig mit wütenden Kunden arbeiten. Ich nahm das nie persönlich, sondern machte für mich ein Spiel daraus. Jeder Kunde, besonders die aufgebrachten, waren eine neue Herausforderung, die es zu stemmen galt. Ich war ziemlich gut darin, in solchen Situationen, Vertrauen zu wecken und Anspannung in Wohlgefallen aufzulösen. Das machte mir Spaß. Tut es immer noch. Im Kern bin ich beruflich immer dabei geblieben, auch wenn sich der Beruf drumherum immer wieder geändert hat. Aus meinem Job im Einzelhandel wurde eine Ausbildung im Groß-und Außenhandel. Wer hätte das gedacht? Als Kauffrau im Groß- und Außenhandel sitzt man die meiste Zeit am Schreibtisch. Ein Bürojob ist doch nicht zwangsläufig so öde wie vermutet. Nach ein paar Jahren gab ich diesen Beruf auf und begann zu studieren. Ja genau. Ich tat das, wovor ich mich 7 Jahre zuvor noch fürchtete und das obwohl ich einen sicheren Job, mit festem Einkommen hatte. Ich begann das Studium, mit der Erwartung, als Führungskraft und besserem Einkommen wieder herauszukommen. Letztendlich wurde aus meinem 3 Jahres Plan ein achtjähriges Abenteuer, das mein ganzes Weltbild buchstäblich auf links gedreht hat. Eine konservative Karriere im Großkonzern, mit gewissem Einkommen und Dienstwagen stand gar nicht mehr zur Debatte. Freiheit und Eigenverantwortung überstiegen Gehalt und Titel, um ein vielfaches. Nie wieder Anstellung. Meine einzige Option hieß plötzlich Unternehmensgründung. Nach meinem Schulabschluss gehörte sowas in ein weit entferntes Universum. Schlussendlich interessieren meine Abschlüsse keinen Menschen. Auch ohne Selbstständigkeit wären meine Noten nicht mehr der Rede wert. Abschlüsse an sich öffnen zwar Türen, aber auch nur die erste, alles danach liegt in deiner Hand.
Es gibt unendlich viele Wege zum Ziel. Ich sehe sie in all den vermeidlich "krummen" Lebensläufen. 1,0 Masterabschluss mit anschließendem Lehrauftrag ohne jemals Abitur gemacht zu haben. Zwei meiner Freunde haben auch den Realschulabschluss übersprungen und sind mehr oder weniger direkt von der Hauptschule zum Masterabschluss gekommen. Also um es nochmal final zu sagen: Dein Schulabschluss sagt nichts über dich und die nächsten 50 Jahre aus.
Sigmund Freud
Albert Einstein
Was denkst du?